top of page

Streit in Beziehungen: Wie du durch bewusste Kommunikation Konflikte konstruktiv löst

Streit gehört zu jeder Beziehung, doch oft wissen wir nicht, wie wir konstruktiv damit umgehen sollen. In diesem Artikel möchte ich einige Ansätze und Überlegungen teilen, die helfen können, Konflikte als Chance für Wachstum und Verständnis zu nutzen.


Kommunikation ist der Schlüssel.

Wie wichtig eine gute Kommunikation ist, haben wir alle schon einmal gehört. Doch wie sieht eine gesunde und respektvolle Kommunikation im Falle eines Streits aus? Konfliktmanagement und eine wertvolle Streitkultur haben die meisten von uns nicht gelernt. Für viele von uns bedeutet Streit = Kampf und Verteidigung. Aber was ist, wenn wir unsere grundlegende Haltung gegenüber Konflikten verändern und eine Haltung einnehmen, die nach Lösungen und Weiterentwicklung sucht? Wenn wir unser Streben nach Gewinnen und “Recht haben” überwinden können, um Verbindung und wahre Intimität herzustellen?


Wir alle wünschen uns Ehrlichkeit, doch müssen wir uns die Frage stellen, ob wir mit der Ehrlichkeit auch wirklich umgehen können. Wir wünschen uns, gesehen und gehört zu werden, doch hinter diesem Wunsch steckt oft der Wunsch danach, so gesehen zu werden, wie wir uns wünschen, gesehen zu werden. Weicht die innere von der äußeren Wahrnehmung ab, fühlen wir uns schnell gekränkt und missverstanden. Das eigene Ego steht uns hier im Weg. Anstelle von wahrem Interesse steht hier die eigene Verletzlichkeit im Vordergrund und versperrt uns den Blick.


Wie können wir Differenzen überwinden und trotz unterschiedlicher Perspektiven in Verbindung bleiben?

Zugegeben, in akuten Situationen ist es sehr schwer, die Contenance zu bewahren, auf Du-Botschaften und Schuldzuweisungen zu verzichten. Wir verfallen nur allzu leicht in gewohnt destruktive Muster und möchten unser Gegenüber für einen Moment so richtig treffen.


In meiner Paartherapie werde ich oft nach Kommunikationsstrategien gefragt. In diesem Artikel möchte ich ein paar Anregungen zum Nachdenken geben und einige hilfreiche Tipps, die Paare in Konfliktsituationen üben können, um neue Verhaltensmuster zu etablieren. Zuerst einmal vorweg: Das ist kein Sprint, sondern ein Langstreckenlauf. Neue Verhaltensweisen etablieren sich nicht von heute auf morgen. Hier heißt es dranbleiben und Toleranz üben. 

"Und selbst wenn nur ein Tänzer bei einem Paartanz die Schrittfolge ändert, verändert sich der ganze Tanz."


Fang bei dir selbst an.

Hinterfrage deine Muster und Beweggründe. Welches tiefe Bedürfnis ist hinter deiner Schuldzuweisung verborgen? Was genau kränkt dich und wieso? Wie stehst du selbst zu dir? Worum geht es im Kern und woher kennst du das Gefühl? Hörst du heraus: „Ich genüge nicht“, oder sendest du die Botschaft und dein Gegenüber kann es dir sowieso gerade nicht recht machen? Bist du emotional erreichbar? Und vor allem stelle dir die Frage: Wer bzw. wie möchtest du sein?


Hierzu ist ein großes Maß an Selbstregulation vonnöten. Die Selbstregulation, die uns dazu bringt, kurz innezuhalten und die Konsequenzen unseres Handelns zu kalkulieren.


Zunächst einmal ist es wichtig zu verstehen, dass wir in akuten Streitsituationen nicht empathisch sein können. Das ist evolutionär so gewollt. Wenn wir in einer massiven Konfliktsituation sind, fährt unser Nervensystem hoch. Unser Organismus schaltet in den Überlebensmodus, wo wir in den Fight-, Flight- oder Freeze-Modus gehen. Empathie würde uns in dem Moment, wo es darum geht, dass der Stärkere gewinnt, das Leben kosten können. Das ist der Moment, in dem sich ein Streit oft nur noch im Kreis dreht, keiner mehr zuhört und es oft verletzend wird.


An dieser Stelle rate ich dazu, eine Pause zu vereinbaren, sich räumlich zu trennen, einen Spaziergang zu machen oder sich körperlich kurz abzuregen. Und nach einer Pause von ca. 1-2 Stunden zu verabreden, wieder zusammenzukommen. Meistens sieht die Welt dann schon wieder ganz anders aus und man kann sachlicher über alles reden.


Sehr hilfreich finde ich es auch, das Gehörte in eigenen Worten zu wiederholen. Zugegeben, das ist wirklich Übungssache und bedarf etwas Disziplin, aber es hilft ungemein, Missverständnisse zu vermeiden und zwingt einen, aktiv zuzuhören, anstatt im Kopf schon die eigenen Argumente für den Gegenschlag zurechtzulegen.


Und zu guter Letzt stelle dir die Frage nach der Lösung: Was soll am Ende dabei herauskommen? Denn was passiert ist, kann man nicht ungeschehen machen. Manchmal kann man nur einen Kompromiss aushandeln, wie man das nächste Mal in einer ähnlichen Situation besser damit umgeht.


Hier ein Beispiel:


Sarah und Edwin sind beide berufstätig und haben zwei kleine Kinder. Edwin arbeitet Vollzeit, während Sarah Teilzeit arbeitet, um mehr Zeit für die Kinderbetreuung zu haben. Seit der Geburt ihrer Kinder haben sich Sarah und Edwin voneinander entfernt. Die Kommunikation beschränkt sich hauptsächlich auf das Nötigste. Sarah fühlt sich oft überfordert, weil sie neben ihrem Job auch die Hauptverantwortung für den Haushalt und die Kinderbetreuung trägt. Sie merkt, dass sie ständig an alles denken muss, von Arztterminen bis hin zu Geburtstagsgeschenken für die Kinder. Eines Abends, als Edwin nach Hause kommt und fragt, was es zum Abendessen gibt, platzt Sarah der Kragen: "Warum muss ich immer alles organisieren und planen? Ich habe das Gefühl, ich mache alles alleine!" Edwin fühlt sich von diesem Vorwurf verletzt und antwortet: "Ich arbeite den ganzen Tag und kümmere mich um den Garten und die Reparaturen im Haus. Ich habe auch das Gefühl, dass meine Leistungen nicht gewürdigt werden." Beide fühlen sich unverstanden und fremdbestimmt, da sie in Rollenmuster verfallen sind, die sie beide nie für sich gewollt haben.





Analyse des Konflikts:


Sarahs Perspektive:

Sie trägt die mentale Last für die Organisation des Haushalts und der Kinderbetreuung, was sie extrem belastet. Ihre Frustration resultiert aus dem Gefühl, dass ihre Anstrengungen nicht gesehen oder gewürdigt werden und sie keine ausreichende Unterstützung bekommt. Zusätzlich stört sie, dass sie in die klassische Rollenverteilung der Hausfrau verfallen ist und sich von Edwin entfernt hat.


Edwins Perspektive:

Er ist sich der mentalen Last, die Sarah trägt, nicht vollständig bewusst und trägt die finanzielle Last, die Familie versorgen zu müssen. Zudem macht ihm sein Job immer weniger Spaß und er würde sich am liebsten beruflich neu orientieren. Er fühlt sich selbst übersehen, da seine Arbeit und die Opfer, die er bringt, ebenfalls nicht gesehen werden. Auch er fühlt sich fremdbestimmt und unzufrieden mit den traditionellen Rollenbildern. Er möchte Sarah mit seinem täglichen Struggle nicht belasten und macht das lieber mit sich selbst aus.


Die große Gefahr in solchen Situationen besteht darin, dass man sich immer weiter in diese Abwärtsspirale manövriert, sodass am Ende nicht mehr viel bleibt. Weder der Respekt vor dem eigentlichen Lieblingsmenschen, noch der Respekt vor sich selbst, weil man sich in eine Rolle gedrängt fühlt, in der man sich nicht wohl fühlt. An dieser Stelle ist es existenziell, zu erkennen, dass man im selben Boot sitzt und nur gemeinsam nach Lösungen suchen kann.


Konstruktive Lösung durch bewusste Kommunikation:


1. Selbstreflexion und Selbstregulation.

Sarah:

Bevor sie den Konflikt anspricht, könnte sie sich fragen: "Warum fühle ich mich so überfordert? Welche spezifischen Aufgaben belasten mich am meisten? Was brauche ich von Edwin, um mich unterstützt zu fühlen? Und wer bzw. wie möchte ich in dieser Beziehung sein? Wie kann ich der Familie, aber auch meinem eigenen Selbstbild gerecht werden?"


Edwin:

Er könnte sich fragen: "Warum denke ich, dass ich alles mit mir selber ausmachen muss?" Warum fühle ich mich so unverstanden? Welche meiner Leistungen werden übersehen? Was brauche ich von Sarah, um mich anerkannt zu fühlen? Wie und wer möchte ich in dieser Familie sein? "Was ist mir wichtig?"


2. Pause einlegen:

Beide könnten vereinbaren, eine kurze Pause einzulegen, um sich zu beruhigen und ihre Gedanken zu sammeln.


3. Bewusste Kommunikation:

Nach der Pause setzen sich Sarah und Edwin zusammen. Sarah beginnt das Gespräch, indem sie bei sich bleibt: "Edwin, ich fühle mich oft überwältigt und allein gelassen mit der Organisation unseres Haushalts und der Kinderbetreuung." Es fühlt sich an, als müsste ich an alles denken und alles planen. Außerdem merke ich, dass wir beide in traditionelle Rollenbilder verfallen sind, was mich zusätzlich belastet. "Ich fühle mich unverstanden und fremdbestimmt."


Edwin könnte antworten: "Sarah, ich wusste nicht, dass du dich so fühlst." Es tut mir leid, dass ich das nicht gesehen habe. Ich arbeite den ganzen Tag und kümmere mich um den Garten und die Reparaturen. Auch ich habe das Gefühl, dass meine Arbeit nicht anerkannt wird. Und ich verstehe jetzt, dass dich die klassischen Rollenbilder zusätzlich belasten und du dich genauso unverstanden und fremdbestimmt fühlst wie ich."


4. Aktives Zuhören:

Sarah wiederholt Edwin Anliegen in ihren Worten, um sicherzustellen, dass sie ihn richtig verstanden hat: "Ich höre, dass du dich ebenfalls unverstanden und nicht anerkannt fühlst und dass du deine täglichen Leistungen und Opfer nicht gewürdigt siehst. Du fühlst dich durch die traditionellen Rollenbilder genauso belastet wie ich und möchtest dich beruflich neu orientieren."


Edwin wiederholt Sarahs Anliegen: "Du fühlst dich von der Last der Organisation und Planung überwältigt und merkst, dass wir uns durch die traditionellen Rollenbilder immer mehr voneinander entfernen. Auch du fühlst dich unverstanden und fremdbestimmt."



5. Kompromiss und Lösungsfindung:


Sarah und Edwin setzen sich zusammen und erstellen eine Liste:

Was kann weg und was darf bleiben?

Hier schreibt man erstmal alles ungefiltert auf. Oft werden Wünsche als unrealistisch eingeschätzt, die sich doch gut umsetzen lassen würden.


Beide beschließen, sich gegenseitig mehr Anerkennung und Wertschätzung für die geleistete Arbeit zu zeigen. Zum Beispiel könnten sie sich abends Zeit nehmen, um zu besprechen, wie der Tag gelaufen ist. Was war gut an dem Tag und was war schwierig?


Sie besprechen auch, wie sie die traditionellen Rollenbilder aufbrechen können. Dafür können sie ihr Netzwerk aus Familie und Freunden aktivieren, um dafür zu sorgen, mehr Unterstützung von außen zu bekommen. Frei nach dem Motto: “Es braucht ein Dorf, um ein Kind zu erziehen”. Zusätzlich vereinbaren sie regelmäßige Paarzeiten, um ihre Beziehung zu pflegen, um wieder ein Liebespaar und nicht nur Eltern zu sein. 


Eine Möglichkeit, die herkömmlichen Geschlechterrollen weiter zu hinterfragen und zu überwinden, ist die bewusste Aufteilung der Haus- und Erziehungsarbeit. Sie überlegen gemeinsam, welche Aufgaben von wem übernommen werden können, basierend auf individuellen Stärken und Interessen. Dies kann zu einem gerechteren und ausgewogeneren Familienleben beitragen.


Weiterhin beschließen sie, offen und ehrlich über ihre Bedürfnisse und Erwartungen zu kommunizieren. Regelmäßige Gespräche über ihre Zufriedenheit mit der Arbeitsteilung und der Unterstützung von außen sollen sicherstellen, dass beide Partner sich gehört und wertgeschätzt fühlen. Dies könnte durch wöchentliche Check-ins oder regelmäßige Paartherapie-Sitzungen unterstützt werden.



Auch der Austausch mit anderen Paaren, die ähnliche Herausforderungen meistern, kann hilfreich sein. Durch Gespräche und den Austausch von Erfahrungen und Strategien können sie neue Perspektiven gewinnen und gemeinsam Lösungsansätze entwickeln.


Schließlich legen sie Wert auf Selbstfürsorge und individuelle Freizeitgestaltung. Sarah und Edwin unterstützen sich gegenseitig, Hobbys und Interessen nachzugehen, um ein erfülltes und ausgeglichenes Leben zu führen und Freiräume für die eigene Entwicklung zu schaffen. 


Fazit:


Konflikte in Beziehungen sind unvermeidlich, aber durch bewusste Kommunikation und Selbstreflexion können sie konstruktiv gelöst werden. Es ist wichtig, sich selbst zu hinterfragen, die Perspektive des Partners zu verstehen und gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Eine gesunde Streitkultur kann dazu beitragen, dass beide Partner sich gesehen, gehört und respektiert fühlen, was zu einer stärkeren und intimeren Beziehung führt.

8 Ansichten0 Kommentare

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen

Comments


bottom of page